back to: DIE HANDLUNG

WEISS


WEISS
aus: Metaphern (Wenn die Klänge die Klänge wären)

von Peter Ablinger



"Weiss" ist für mich vielleicht das Verführerischste aller Worte, ihm habe ich die meisten Stücke gewidmet, nicht nur die, die das Weisse im Namen führen. Und daß es dann auch noch ein weisses Rauschen gibt, und daß dieses, wenn man den Farbausdruck beiseite läßt, ausnahmsweise einmal nicht schon wieder die Metapher aus irgendeinem anderen Sinnesfeld (meistens der Optik) ist, sondern ein originär akustischer Ausdruck, daß ich also mit dem Rauschen etwas habe, bei dem am Anfang nicht die Übertragung steht, ist selbst schon eine kleine Sensation im Verhältnis von Musik und Reden über Musik. Es ist im Gegenteil so, daß Rauschen über die Informationstheorie als Metapher in die Alltagssprache eingesunken ist, und alles Redundante, Kontingente, Nicht- oder Schwerkommunizierbare bezeichnet.

"Weiss" heißt das Rauschen dann, wenn in ihm alle Frequenzen gleich stark vertreten sind, und insofern ist die Kongruenz mit dem Licht tatsächlich vorhanden. Aber nur solange ich bereit bin, mir dieses Rauschen, dieses Alles, LAUT vorzustellen, denn andernfalls verschwindet die Vergleichbarkeit auch schon wieder. Über Lautstärke (Energie) ist nämlich in der Definition "alle Frequenzen gleich stark" nichts ausgesagt, und daher ist weisses Rauschen immer noch weisses Rauschen, selbst wenn es sehr leise ist: mathematisch korrekterweise auch dann noch, wenn es unendlich leise ist, also bei Abwesenheit jeglicher Energie, was aber auf der Ebene des Lichts dem Schwarz entspräche!

Aber ob schwarz oder weiss, seine Dichte, seine Konturlosigkeit und seine Farbnamen (man spricht ja auch noch von rosa Rauschen und braunem Rauschen) lassen es als unvermeidlich erscheinen, daß Rauschen mit Fläche in Zusammenhang gebracht wird. Die Übertragung läßt also nicht lange auf sich warten, und zwar in Form einer Rückübertragung.

Rückübertragung:

Die erste Version von Weiss/weisslich 7 (1994) beläßt das Rauschen ja noch genau so ungestaltet, unbearbeitet und unbegrenzt, wie das gewissermaßen seiner Natur entspricht. Aber zugleich skizzierte ich auch das Stück "Quadrat" für 1 Lautsprecher, bestehend aus genau 4 Minuten weissen Rauschens. Natürlich sollte das die bessere Übersetzung des weissen Quadrates sein. Besser, weil (lautes) Rauschen durch seine Absorbtionsfähigkeiten und das Maskieren leiser Nebengeräusche (Magengrummeln!) gewissermaßen noch stiller (weil informationsloser) ist als die Stille und weil es im Gegensatz zu Cages 4'33" nicht auf die Zwischenübersetzung von Rauschenberg, sondern sozusagen auf den Urtext von Malewitsch zurückgreift. Aber so spekulativ diese Überlegung bereits ist, die eigentliche Frage lautet: Wie lange muß Rauschen sein damit es ein Quadrat wird? Oder etwas technischer: gibt es eine zwingende Relation zwischen Bandbreite (Spektrum) und Dauer? Gibt es ein zwingendes Maß für Dauer? Was ist ein Quadrat in der Musik? Eigentlich möchte man ja weiterspekulieren, daß, wenn das Spektrum weiss und also unendlich ist, auch die Dauer unendlich sein müßte. Aber ich hab noch nie jemand gefunden der das bestätigt hätte und der im Gegenteil nicht geneigt wäre die lange Dauer eines Rauschklanges etwa als langgezogenes Querrechteck zu empfinden. Ich hatte immer vor, dem weiter nachzugehen: ich wollte verschiedenen Freunden und Kollegen Rauschen vorspielen, um sie danach zu fragen, wie lange es erklingen müsse, damit sie es als Quadrat empfinden könnten. Die einzelnen Stücke der daraus resultierenden Serie würden dann heißen: Quadrat für Klaus Lang, Quadrat für Maria de Alvear, Quadrat für Daniel Rothman, Quadrat für Jürg Frey, Quadrat für Alvin Lucier, Quadrat für Makiko Nishikaze.

Von Gösta Neuwirth weiß ich (und der weiß es wiederum von Heimito von Doderer), daß sich Probleme niemals auf der Ebene lösen lassen, auf der man sie antrifft. Ein paar Monate später löste sich das Problem, indem ich feststellte, daß gar kein Problem da war. Als ich nämlich Ende 1994 begann, meine Vorstellungen von klanglicher Dichte auf Instrumente zu übertragen, als die Dichte und Klangqualität des Moments gewissermaßen die Stelle von Verläufen und Strukturveränderungen einnahm, als anstelle der Zeit die Farbe die gestaltende Aufmerksamkeit beherrschte, offenbarte die grundsätzliche Aufwertung des Spektrums gegenüber der Zeit ihre mögliche Gleichsetzung (IEAOV: Instrumente und ElektroAkustisch Ortsbezogene Verdichtung, seit 1995).





    OHNE TITEL (2002), 12 Fotographien, Ausschnitt

Hier scheint plötzlich nur mehr eine hauchdünne Unterscheidung zwischen Malerei und Musik zu liegen. Und tatsächlich, als es darum ging, eine methodische Umsetzung für meine Vorstellungen zu finden, wurde ich zuerst auf visuellem Terrain fündig: Ich begann Fotos mit Langzeitbelichtung und bewegter Kamera zu machen, in denen die konkreten Gegenstände zugunsten ihrer puren Farbwerte verschwanden, und jeder Punkt eines Objektes tendenziell überall im Bild auftauchen konnte. Ich betrachte die seither auf diese Weise entstehenden Fotoserien als Musik, - man könnte sagen in der Tradition von Dieter Schnebels visible music, oder besser derjenigen von Roman Haubenstock-Ramatis Grafiken, welche nicht zur Aufführung vorgesehen sind, sondern sich sozusagen selbst genügen.

      (hier die Notizbucheintragung, die das Vorhaben in einen Plan fasste:)

      Verdichtungen: Klänge, Musiken und Klangstrukturen (auch konkrete Klänge, Umweltaufnahmen) staffeln, wie die hintereinandergestaffelten Räume in der Klosterkirche Wilhering. Immer den Punkt suchen, wo sie anfangen ineinanderzugreifen; gegenseitig transparent werden; sich einander zuwenden; ihr jeweiliges Alleinsein, ihre Besonderheit aufgeben zugunsten eines Gesamtbildes.
      Genau den Punkt fixieren, wo die Auflösung beginnt, aber noch keine Auslöschung ist, sondern eine Vervielfältigung.
      Aber auch das:
      Klänge sozusagen ertränken; In anderen, dichteren Klängen. Die Walküre in einem Wasserfall, einen Posaunenchoral in einer Autobahnfahrt, ein Mozartquartett in einer späten Coltrane-Quartett-Aufnahme, Cecil Taylor in einem Zikaden-Schwarm ... - alle auf- und erlösen!
      Alles zurücknehmen, bis zu dem Punkt, wo es wieder Ahnung wird, Möglichkeit.
      Ein Schein. Eine Erscheinung. Und nur für sehr Aufmerksame.
      Für alle anderen: eine undurchdringliche Wand. - ich glaube jetzt ist Zeit für die große fast-weisse Fläche, grelles undurchdringliches Licht, Zeit für Turner ... Keine Einzelheiten im Moment, breiter Pinsel, Improvisations-Schemata - davon ausgehen. Jetzt: (erstmal) Vorstudien. Ins Studio gehen. Probieren dürfen. Sammeln. Hören. Nicht viel schreiben. Höchstens Texte. Prosa. Geräusch-Heft etc. Klänge nur hören, nicht schreiben. Eine Zeit lang. Jetzt: 18.12.94. Eine Zeit lang: zB 9 Monate.


Skizze zu:
IEAOV,
Homage to the Square,
1995-99

Hommage ans Quadrat.

Das Quadrat ließ - und läßt - mich nicht aus dem Griff. Eins der IEAOV-Stücke, dessen abschließende Fertigstellung mir trotz mehrerer Aufführungen noch immer nicht gelungen ist, heißt IEAOV: "HOMAGE TO THE SQUARE" nach der gleichnahmigen über 1000-teiligen Bilder-Serie des Bauhaus-Malers Josef Albers. 12 davon habe ich im Berliner Kupferstichkabinett immer wieder eingehend betrachtet.

    Homage to the square:
    Rauschflächen wie Grundfarben erzeugen.
    Später mischen, kombinieren, überlagern.
    Das Ineinanderschieben von Farbflächen.
    Bei Josef Albers sind es allerdings keine Überlagerungen sondern selbständig berechnete Farbkombinationen - eigentlich ja nur ein Nebeneinander von Farben - aber durch die - suggestiv - sich gegenseitig umrahmenden Quadrate ist es auch ein Ineinander, das sich - wenn man es sich nicht bewußt macht - auch wie ein Übereinander auswirken kann.
    ... Die Möglichkeit, die Farben einfach wirken zu lassen. Zu sehen, wie ein hohes und ein tiefes Band zusammen wirken, bzw. ein hohes körniges und ein tiefes glattes, bzw. ein dichtes (enges) und ein loses (weites) Spektrum ...
    ... Wie die Farben sich gegenseitig beeinflussen
    ... Wie die Oberflächen einfach auf das Licht reagieren: auf die verschiedenen Räumlichkeiten und deren momentaner akustischer Situation

      Die Albers-Bilder (Siebdruckserie "homage to the square", 1967):
      Die Oberfläche ist perfekt, die Abschlüsse (Ränder) sind absolut gerade:
      Aber ich sehe fleckige, schmutzige Farben, wie mit einer schlecht deckenden Wasserfarbe aufgetragen, und ich sehe ausgefranste Ränder, auch der äußerste Rand, der zum weissen Papier hin, ist ausgefranst, man glaubt, Pinselstriche und verlaufende Farben zu sehen... - Ich gehe also wieder zum Bild. - Nichts: Absolut perfekt.

      Außerdem: größte Empfindlichkeit der Bilder in Bezug auf auch nur die leichtest schräge Blickweise: das Quadrat wird sofort ein Rechteck. Wenn ich das Pult auf dem sie stehen auch nur 1 cm gegenüber dem einfallenden Licht (das im Übrigen sehr gedämpft und gleichmäßig ist - mit Dank an das Kupferstichkabinett!) verändere, den Winkel verändere, - sofort registrieren sie es, sie haben es sofort bemerkt!

      Grau ist glaub ich etwas unempfindlicher gegen "Verschmutzung". Auch Grün - im Vergleich zu Gelb. Vielleicht sind die den Grundfarben näheren Farben empfindlicher - oder die ungemischten?

      Albers ist spannend aus der Entfernung wo alles anfängt zu schwimmen, zu vibrieren, verschiedene Komplementär-Reflexe anfangen zu arbeiten. Aber es gibt auch etwas Seltsames in der Nähe, etwas Berührendes: Ich gaube sie zittern wie aus Angst vor der Nähe. Sie wirken nackt und ungeschützt. Man spürt, wie das Machen, der Farbdruck, die Materialität der einzelnen Farbflächen nichts zu tun hat mit der "Seele" dieser Bilder. Und die Bilder selbst wollen nicht, daß man es sieht. Es ist ihnen peinlich.

      das erste Bild der Berliner Drucke: eine Bühne, Einführung, nach Hinten heller werdend: mittelbraun, violett (stumpf, fast etwas grau), blaugrün, wiesengrün; wobei die 3 inneren Flächen irgendwie körperlich sind, "transparent" (leuchtend!, aus sich herausschimmernd! Im Gegensatz zu "flach" oder "dicht, fest, undurchlässig") und miteinander in Beziehung stehen, während das äußere braun "flach" ist
      Größe der Quadrate:
      äußerstes Qu. 50x50cm, 9ooqcm
      2.Qu. 40x40cm, 7ooqcm
      3.Qu. 30x30cm, 5ooqcm
      innerstes Qu. 20x2ocm, 400qcm

      zweites Bild: hell, wieder nach innen am hellsten; von außen: ocker, grünocker, fleischfarben, gelb; wobei das innere Gelb obwohl am hellsten dennoch "flach" ist, möglicherweise weil es sich von den äußeren insofern absondert als die äußersten drei zart gegeneinander abgestuft sind und miteinander wechselwirken drittes Bild: außen dunkelgrün; die inneren 3 sind grau: mittel-, halbdunkel-, und innen dunkelgrau; trotzdem sind alle 4 Farben weder ganz flach noch richtig leuchtend, sie sind in dieser Hinsicht verwandt

      viertes Bild: von außen nach innen: gelb, hell-ocker, aufgehelltes braun, orange; 2 sattere Töne außen gegen 2 gemischte, aufgehellte innen: größter Helligkeitskontrast jedoch zwischen 2 und 3! vielfache Wechselwirkung; keine eindeutige 3:1-Position wie die ersten 3 Bilder; 2 verschiedene Zweiteilungen möglich: die äußeren gegen die inneren, oder: innen und außen gegen die beiden Zwischenquadrate

      fünftes Bild: nur 3 Quadrate: 50x50, 40x40, 29,6x29,6cm
      alle drei Farben sind Rot-Abstufungen: weinrot, violettrot mit weisser Aufhellung, rot

      sechstes Bild: wieder 4 Qu: dunkelgrün, türkis, mittel-hellgrau, mattgelb: dynamische Abstufung der Helligkeit; alle 4 Farben sind gemischt, also gleichwertig: auch das Grau! - sehr "kinetische" Wirkung durch die Ausbalanciertheit

      siebtes Bild: wie fünftes: 3 Qu: preussisch blau, grauviolett, braun; Abstufungen sehr kleinschrittig durch sehr verwandte Helligkeit (eher: Dunkelheit); flimmernde Wirkung, Op-Art-Effekt; besonders das Grauviolett ist sehr schillernd, die Ränder lösen sich auf

      achtes Bild: 3 Qu, wobei sozusagen das zweitinnerste fehlt; Maße: 50x50, 40x40, 20x20cm; Farben: grün, grau, gelb; deutlich kontrastierend

      neuntes Bild: 4 Qu: dunkelgrau, dunkelgrün, grün, türkis; wieder sehr kleinschrittig; an Bild sieben und fünf anschließend; äußerstes Grau ist violettstichig, und das sehr gemischte Dunkelgrün ist das am stärksten flimmernde, wie ein Schleier über dem Grauviolett liegend

      zehn: 4 Qu, alle gelb/gelbocker

      elf: 4 Qu, braun bis orange, außen 2 dunkle Braun, innen 2 leuchtende Orange/Rotorange

      zwölf: blau, blaugrün, 3 Qu, 50x50, 40x40, 20x20, blaugrün, dunkelpreussisch, nachtblau; sehr räumlich, wieder zu Bild fünf, sieben und neun passend

    Eine Aufführung besteht also aus: A) dem Bereitstellen der Pigmente: der Spieler spielt das Rohmaterial, zB. eine mikrotonale Skala B) dem Mischen der Farbe: das Rohmaterial wird elektronisch zur Fläche verdichtet C) dem Stück, den Varianten, der Serie: Spieler und verdichtete Flächen spielen zusammen

Die Irritationen des Auges beim Betrachten der Albers-Bilder weist auf die Ambivalenz von Bild und Nicht-Bild; auf die komplexe Beziehung von Bild und Beobachter, von real vorhandenem Objekt und seiner subjektiv oder kulturell kodierten Wahrnehmung. In der byzantinischen Epoche, im Zisterzienser-Orden, in muslemischen Kulturen wurde diese Ambivalenz als Bilderstreit und als Bilderverbot ausgetragen. In der abstrakten Kunst des 20. Jahrhunderts, insbesondere in der monochromen und Farbflächenmalerei erneuert sich die Thematik in der Differenz von dem, was physikalisch wirklich da ist, der Leinwand, der Farbauftrag, der Museumsbesucher aus Fleisch und Blut, und dem was als Nicht-Reales, Nicht-Messbares zwischen diesen beiden - Bild und Betrachter - passiert.

    Bei dem Stück, wo sich das erste Mal das Thema des Bilderverbots eingestellt hat (Verkündigung, 1990), geht es um sehr dichte, flimmernde Strukturen, in denen man manchmal kleine Erscheinungen, Illusionen hört. Man hört etwas wie eine Figur, die aber von niemand gespielt wird, sondern sozusagen nur im Flimmern enthalten ist. Das hat übrigens nichts mit den Illusionen bei Ligeti zu tun. Bei ihm besteht die Illusion einzig aus dem Unterschied von Metrum und Rhythmus, es hört immer noch jeder dasselbe. Das ist wie in der barocken Malerei: eine Scheinarchitektur, die natürlich auch jeder sieht. Hier aber geht es um Illusionen, die nicht konstruiert sind. Jeder hört etwas anderes. Es geht um das Verschwinden des Bildhaften.

Während der Komposition von "Verkündigung" dachte ich an Jackson Pollock, und noch nicht an Barnett Newman oder Yves Klein. Die darin angewendeten instrumentalen Strukturen und Spieltechniken brachte ich mit Pollocks "Dripping" in Verbindung: man konnte die generelle Geste oder Bewegungsrichtung präzise kontrollieren, keinesfalls aber wie sie sich im Detail äußern würde. Tatsächlich saß ich während der Arbeit an "Verkündigung" vor einer fleckigen, ehemals weissen Wand, und ich beobachtete mein Beobachten der Wand indem ich die Flecken immer wieder in unterschiedliche Konstellationen zueinander brachte und als Figuren und Gestalten interpretierte. Wenn wir vor einem Wasserfall stehen, passiert etwas ähnliches: wenn wir nicht ohnehin in unseren Gedanken bleiben, sondern wirklich hinhören, fangen wir an, im Rauschen des Wasserfalls Melodien zu hören. Unser Gehirn scheint ganz und gar unfähig, nichts zu hören oder wahrzunehmen. Angesichts von nichts (oder auch nur zu wenig Information), erzeugt es immer etwas. Und letztlich ist es genau diese Art der "Übertragung", welche unser Leben (unsere Kunst) vielmehr bestimmt als alles andere. Alle Metaphern (Übertragungen) sind selbst wieder Metaphern für die Interpretationstätigkeit des Geistes, für das permanente Erzeugen einer uns operationsfähig haltenden Wirklichkeit.

    Mich interessiert nicht einfach das Objekt, nicht das Objektive. Ich möchte eher herausfinden, wie wir uns zum Gegebenen verhalten. Denn erst dieses Verhalten ist das, was das Wirkliche schafft. Ich möchte also nicht einfach hören. Ich möchte das Hören hören.

Der Name der Werkreihe "Weiss/weisslich" bezeichnet also nicht nur die feine Differenz von Weiss zu einem anderen Weiss, er meint auch vor allem diejenige, von Weiss zur Wahrnehmung des Weiss. Bei jenem Stück, das der Reihe den Titel gab, dem späteren "Weiss/weisslich 3", war der Sachverhalt der Übertragung ein höchst unmittelbarer, vielleicht der direkteste und einfachste meiner gesamten Arbeit: Wieder einmal stand ich vor einem Bild und dachte dabei an Musik. Diesmal 1990, im Walter-Gropius-Bau Berlin, es war eine dieser riesigen Ausstellungen damals, ich hab das Thema vergessen, aber ich erinnere mich, die Ausstellung gerade erst begonnen zu haben und zwar mit dem letzten Raum des Rundgangs. Und da stand ich vor einem Bild das nur aus vertikalen, hellgrauen Streifen bestand, nichts als zwei unterschiedliche Grautöne, die sich völlig regelmäßig abwechselten. Ich betrachtete das Bild weniger, als daß es mich betrachtete, wie ich eine Weile in Gedanken versunken davor stand, dann aber rasch den Ausstellungsbesuch abbrach und nach Hause ging um ein Stück zu skizzieren, das aus nichts anderem bestand als aus dem mehrmaligen, regelmäßigen Wechsel von 40 Sekunden Stille und 40 Sekunden Fast-Stille. Es dauerte danach noch viele Jahre bis ich schließlich herausfand, daß das Bild von Agnes Martin war.

Einen entscheidenden Anteil an der Entwicklung jener Konzepte, die mit "Rauschen", mit "Weiss", mit "Verdichtung", mit "Fläche" zu tun haben, trägt das Licht; die Beobachtung des natürlichen Lichts, und das Studium der Lichtkünste vergangener Jahrhunderte. Hier eine Notiz von 1991, nach einem Besuch der Kathedrale von Brno:

    Rauschen und Licht. Brechungen.
    Kirchenfenster:
    Zuerst die Architektur, Form und Unterteilung der Fenster, auch die kleinen, weiter unterteilenden Stege, und auch die zusammenhängende Anordnung mehrerer Fenster oder Fensterteile im Polygon des Chorraums oder als Rosette etc., die Geometrie, die Ornamentik, das Zusammengesetzte, die symetrische Anordnung des Rasters aus Masswerk und Scheibenformen.
    Als zweites die Zeichnung und die Farbe; Die Zeichnung ist oft identisch mit den Blei-Stegen, die Farbe oft identisch mit der Zeichnung; verschiedene Verhältnisse von Farbe und Zeichnung: Identität; Deckungsgleichheit (gleiche Konturen); oder scheinbare Identität: die Farbe erfüllt zwar im Detail die Konturen der Zeichnung, findet aber im größeren Zusammenhang ihr Eigenleben als von der Zeichnung unabhängige Form. Und nun das Verhältnis von erster und zweiter Ebene: die Überlagerung von regelmäßigem, architektonisch-ornamentalem Raster und der unregelmäßigen, figürlichen Zeichnung; die manchmal fast beziehungslose Überschneidung zweier unabhängiger Strukturen innerhalb eines Fensters: des Allgemeinen (Ornament) und des Individuellen (Figurendarstellung); und schließlich die asymetrische Anbringung der Farben, welche über diese Formen ganz und gar hinweggehen kann, in einem Fenster beginnt und im anderen weitergeht, sich über Architektur und Zeichnung hinwegsetzt und so das Schillernde, vielfach Gebrochene, die "Imitation des Lichtes" - des Prinzips "Licht" erzeugt.
    Und als letztes das tatsächliche, physikalische Licht von draußen, von der Sonne, die wandernd die Glasfenster je nach Tageszeit verschieden beleuchtet (akzentuiert) und je nach Witterung und Jahreszeit verschieden intensiv beleuchtet und so die Kontrastwirkungen variiert. Das Licht ist also ein Vorgang der Zeit, eine Uhr, und es verändert je nach Uhrzeit die Kraft der Farbe, die Bedeutung der Zeichnung, die Form der Architektur (es spaltet die Symetrie des Raumes und ist doch selbst das Regelmäßigste das es gibt).
    Es ist beachtenswert, wie die verschiedenen Ebenen beim Glasfenster zusammenhängen, ineinandergehakt sind und sozusagen fließende Übergänge von einer Ebene zur anderen bilden (Vertikales Mobile!): Die Architektur mit der Zeichnung, die Zeichnung mit der Farbe, die Farbe mit dem Licht - und was das variable Zusammenwirken aller Ebenen bewirkt.
    Die Überlagerung der Symetrie des Raumes mit der Symetrie der Zeit ergibt ein hochkomplexes Gebilde. Das heißt: Symetrie und Regelmaß, bzw. zwei einfache Grundsysteme, richtig übereinandergelegt, ergeben Komplexität: Leben.
    (Vielleicht noch als Ergänzung eine Art negativer Ebene: das relative Dunkel, das die Glasfenster tagsüber umrahmt und aufleuchten läßt - und damit zusammenhängend die Umkehrung, wenn bei der Abend-Vesper das Glasfenster selbst dunkel, und nur mehr seine Architektur, Rahmung und grobe Zeichnung erkennbar ist, während der Innenraum und seine Begrenzung an Bedeutung gewinnt.)

Wie in anderen verwandten Aufzeichnungen, handelt es sich dabei nicht um die Analyse einer anderen Kunstsparte, sondern was hier in visuellen Ausdrücken verhandelt wird, ist tatsächlich bereits ein folgenreich komplexes, musikalisches Konzept ("Grisailles" 1991-93, "Der Regen, das Glas, das Lachen" 1994). Bei einem späteren Besuch in Brno stellte ich übrigens fest, daß der Chor der Kathedrale gar keine farbig verglasten Fenster hatte...

Von den vielen Eindrücken oder Einflüssen die auf das Konzept der Fläche wirkten, möchte ich hier nur mehr jene erwähnen, die nicht mit Kunst und Kultur zu tun haben, und doch zu den für mich ursprünglichsten und unmittelbarsten, wenn auch vielleicht weniger diskursiven gehören: der Wind in verschiedenen Gräsern und Bäumen, das Geräusch des Regens, das Tröpfeln des beginnenden Regens, die Farbe des Himmels ("Weiss/weisslich 18" 1992,96, "Regenstück" 1993, u.a.). Ich erinnere mich, angesichts eines abendlichen Himmels, dessen Farben von blau über grün zu orange und purpur changierten, einmal ausgerufen zu haben, daß genau das mein musikalisches Ziel sei; und inzwischen glaube, daß ich, wenn ich dieses Ziel nicht gar schon erreicht haben sollte, ihm doch so nahe gekommen bin wie wohl kaum jemand. Feldman dachte zwar auch schon, daß das was er macht etwas mit der Fläche zu tun habe. Im Vergleich zu Stockhausen vielleicht. Aber im Vergleich mit den IEAOV- oder gar einigen Rauschen-Stücken handelt es sich bei Feldman noch immer um Grafik. Vielleicht kann man sagen, er setzt seine Klänge in die Fläche, in dem Sinn, daß die Klänge auf einer einzigen Ebene und nicht in unterschiedlichen Raumtiefen liegen. Die IEAOV-Flächen haben noch Raumtiefe, die Rauschenstücke, sobald nicht mehr bestimmte charakteristische Formanten im Vordergrund stehen, entbehren ihrer aber gänzlich. Raum ist in ihnen aufgehoben, enthalten, aber nicht mehr abgebildet oder nachempfunden. Der Regen und andere nicht-musikhistorische Ereignisse wie das Rauschen des Wasserfalls, aber auch nicht-klingende Künste wie die Malerei haben in mir das Bedürfnis vollkommener Strukturlosigkeit und Flächigkeit, die nur mehr mit dem Licht assoziierbar wäre, geweckt. Mit der Oberfläche der Malerei hat es also nicht wirklich zu tun, wie Feldman meinte. Feldmans Flächigkeit ist die des Gewebes. Sie ist niemals eine Fläche im Sinne einer monochromen Tafel.

Strukturlosigkeit, Redundanz, Kontingenz, und Grenzfälle dessen, was überhaupt noch als Kunst kommunizierbar erscheint, - all das kann im äußeren Erscheinungsbild manchmal "reduktionistisch" oder "minimalistisch" daherkommen. Manchmal aber auch anders (maximalistisch?). So etwas wie "Stil" ist mir viel zu äußerlich. Ein Kleid das man an- und wieder auszieht eben. Jedenfalls gibt es wahrhaft kein minimalistisches Dogma in meiner Arbeit. In der Kunst ist die oberste der minimalistischen Regeln nämlich die, daß ein Ding (ein Klang, etc.) nur es selbst und nichts anderes als es selbst sein darf. Ich weiß auch nicht, vielleicht sind es die Voralpen, die "keltischen" Gene in mir, daß mir dieser Gedanke höchstens ein mitleidiges Lächeln entlockt.

    Ein gelbes Blau.

    Ich stehe vor einem kleineren monochrom blauen Bild von Yves Klein in der Guggenheim-Berlin-Ausstellung: das Bild ist etwa so groß, daß es meine Büste in Lebensgröße abbilden könnte, hochrechteckig - und das ist genau der Punkt, das ist das was passiert, wenn man davorsteht, daß man trotz der absoluten Monochromie und Gestaltfreiheit, sich dennoch - oder gerade deswegen - SELBST abbildet darin.

    In derselben Ausstellung hängen auch einige Rothkos: Im Vergleich zu der Klein-Beobachtung sind die Rothkos "figurativ" im traditionellen Sinn, d.h., sie geben selbst den Anlaß zur Figur, die Farbstreifen enthalten Reminiszenzen einer dargestellten Figur, die Flächen suggerieren Körper - man kann wohl nicht anders als Figuren malen, oder Figuren sehen, oder beides gleichzeitig ...

    Man kann wohl nicht anders, aber es bleibt verrückt: daß ich vor dem völlig gleichmäßig blauen Bild stehe, und nach einer Weile betrachte ich es wie eine Marien-Ikone. Und ich spüre den Körperumriß, spüre den Blick, spüre, daß mich etwas anschaut, sowie auch ich auf etwas schaue, das wie ein jemand ist. Und das geschieht alles nur deswegen, WEIL ich das Bild anschaue. Weil ICH das Bild anschaue, und nicht ein anderes Bild der Betrachter des Bildes ist. Monochrom Blau wäre der Klein wohl nur, wenn der Betrachter ebenfalls ein monochrom blaues Bild wäre. Schon ein gelbes Bild als Betrachter würde wohl unweigerlich etwas Gelbes in dem blauen Bild sehen, - oder eine Differenz (grün!) ...
    (9/01)

      Schwarz (Ad Reinhardt zitiert Hokusai):

      "Es gibt ein Schwarz das alt und ein Schwarz das neu ist, leuchtendes Schwarz und stumpfes Schwarz, Schwarz im Sonnenschein und Schwarz im Schatten. Für das alte Schwarz muß man eine Beigabe von Blau verwenden, für das stumpfe Schwarz eine Beigabe von Weiss, für das leuchtende Schwarz muß Harz hinzugefügt werden. Schwarz im Sonnenlicht muß graue Reflexe abgeben."





hier der gesamte Text:
METAPHERN
(Wenn die Klänge die Klänge wären)

veröffentlicht in: "Übertragung - Transfer - Metapher"


back to: DIE HANDLUNG

impressum \ this page was created by Aljoscha Hofmann \  last edited 03.01.2006 CET